Habt Ihr Diabetes? Lebt Ihr mit jemanden zusammen? Z. B. Eltern, Partner/in, Geschwistern oder eigenen Kindern? Herzlich Willkommen zum Thema „Typ-F-Diabetes“ – denn das F steht für Familie und Freunde.
Die meisten reden immer darüber, wie Diabetes ausgelöst wird und wie man diese Krankheit möglichst früh erkennen kann. Unzählige Artikel und Vorträge handeln über die Vielzahl an Risiken Folgeerkrankungen der Betroffenen. Immer wieder geht man auf den Umgang mit Diabetikern in Notfällen ein und wie man als Außenstehender einen Notfall erkennt und darauf reagiert.
Ich möchte in meinem heutigen Artikel den Fokus umdrehen und diesen auf Verwandte, Freunde und Partner von Menschen mit Diabetes setzen: Auf Typ F-Diabetes. Denn auch, wenn diese Menschen keine chronische Krankheit haben, leben sie damit und tragen um ihren „diabetischen Angehörigen“ viel Verantwortung, die u. U. sehr belastend sein kann.
F wie „Family & Friends“
Menschen, die mit Diabetikern zusammenleben, sind auf sozialpsychologischer Ebene sehr wichtig für Diabetiker und haben (gewollt oder ungewollt) großen Einfluss auf deren Stresshaushalt und „Zuckermanagement“. Darüber hinaus stehen allerdings auch genau diese Menschen aufgrund ihrer „diabetischen Angehörigen“ unter einem enormen Druck und großer Belastung, die häufig unter den Teppich gekehrt wird.
Das Leben eines Diabetikers beeinflusst die gesundheitsbezogene Lebensqualität und das Selbstmanagement mit allen Höhen und Tiefen (Über- und Unterzuckerungen). Wenn Ihr mit einem Diabetiker zusammenlebt, zieht sie dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit häufig (ungewollt und unbewusst) mit in diese „Höhen und Tiefen“.
Ich kenne es von mir selbst. Es gibt Zeiten, da werde ich von einem Zittern und Schwindel überrascht. Wie eine große Welle, mit der ich nicht gerechnet habe, erwischt mich manchmal noch eine Unterzuckerung (trotz CGM[1]).
Einmal war ich mit einer Freundin wandern als ich bemerkte, dass meine „Hypo-Helfer“ aufgebraucht waren und ich es nicht mehr zur Alm schaffen würde. Meine Freundin holte Hilfe. Seither sitzt der Schick tief bei ihr. Bei jedem Treffen fragt sie, was ich an „Zuckerstoff“ dabei habe und ob ich „okay“ bin?
Zu Hause gehe ich bei Unterzuckerungen konzentriert zu meinen „Zucker-Verstecken“; um mich mit einer Banane, Saft oder Traubenzucker wieder zu stabilisieren.
Das blutende Mama-Herz
Ich habe zwei kleine Kinder. Eines davon ist noch ein Baby. Aus Sicherheitsgründen lege ich es ab, wenn ich unterzuckere. Das ohrenbetäubende Geschrei lässt mich natürlich noch mehr schwitzen und den Stresspegel steigen. Unter Umständen verstärkt das die Unterzuckerung. Mein größeres Kind – knapp 4 Jahre alt – kennt den Namen meiner Krankheit und dessen Facetten. Es hat bereits gelernt Verantwortung zu übernehmen. So schaut das große Kind instinktiv ruhig und besonnen nach dem Baby, lenkt es ab, beruhigt es und kommt dann zu mir, streichelt mich und fragt, ob es mir besser geht oder ich noch was zum Naschen brauche.
Puuuhhh, als Mama wollte ich Diabetes in jeder Form von Ihnen fernhalten. Ich habe mich um eine gesunde Schwangerschaft bemüht und wollte alle „dunklen Seiten der Medaille“ von Ihnen weghalten. Doch das Leben mit Diabetes lässt ein Verschweigen nicht zu.
Meine Freundin, meine Kinder, mein Mann, meine Mutter…. Sie alle haben Typ-F-Diabetes… – wegen mir.
Sozialpsychologisch
Typ-F-Diabetes ist natürlich kein-medizinischer Begriff. Sozialpsychologisch wird es irgendwann jedoch meiner Meinung nach bei jedem Diabetiker zu einem wichtigen Thema.
Natürlich können Typ-F-Diabetiker nie komplett nachempfinden, was es bedeutet, Diabetes zu haben. Sie sind ja schließlich gesund.
Die Suche nach Ruhe kann für Verwandte und Freunde von Menschen mit Diabetes aber sehr schwierig sein, denn die Sorge und ständige Rücksichtnahme um einen Diabetiker, den sie lieben, kann belasten – und auch nerven wie ich von meinem eigenen Mann in einer ehrlichen Konversation erfahren habe.
Die Sozialpsychologie erforscht die Auswirkungen anderer Menschen auf das Erleben und Verhalten des Individuums. Noch sind für „Typ F“ keine Ergebnisse am Markt. Aus eigener Erfahrung aber kann ich sagen, dass meine vierjährige Tochter sich bereits schweren Herzens, aber bewussten Verstandes, disziplinieren kann, wenn es darum geht das letzte Stück Traubenzucker oder den letzten Schluck Apfelsaft in Ruhe zu lassen.
Wenn mein Mann und ich hitzig streiten, sagt er manchmal unverwandt „Miss Deinen Zucker und dann reden wir weiter!“ DAS nervt mich zwar, aber wie oft hatte er leider schon Recht damit….
Die Änderung von Lebensgewohnheiten
Es gibt so viele Situationen, in denen mein Umfeld eigene Lebensgewohnheiten, Wünsche, Bedürfnisse geändert hat oder zurückhält wegen mir bzw. meines Diabetes. Ich weiß das geschieht aus Liebe, aber deshalb sollte man das nicht einfach für selbstverständlich hinnehmen.
Manchmal überlege ich mir durchaus, ob es meinen Kindern an irgendetwas fehlt oder meinem Mann, weil sie mit mir leben (müssen).
Das klingt vielleicht seltsam, aber ich bin mit einem schwer-kranken Vater aufgewachsen und so sehr ich ihn auch liebte, nahm es mir an vielen Stellen meiner Jugend die Luft zum Atmen. Mit schweren Herzen, aber kühner Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und einem blutigen Herzen bin ich Anfang 20 dann für mehrere Jahre ins Ausland gegangen. Ich hatte einen Job, in dem ich nicht willkürlich nach Hause hätte fliegen können. Während andere, Gleichaltrige ohne Sorgen über das Morgen nach der Arbeit feierten, sorgte ich mich darum, ob ich rechtzeitig zu Hause sein würde, bevor mein Vater stirbt.
Ganz so schlimm steht es um mich als Diabetikerin natürlich nicht. Sozialpsychologisch finde ich es aber wichtig, dass wir Betroffene uns auch mal bewusst damit auseinandersetzen, wie das Leben mit uns ist. Ich bemühe mich zum Beispiel um eine extrem offene und ehrliche Kommunikation mit meinen Kindern.
DAWN2-Studie – Eine gemeinsame Last
Diabetes mellitus bestimmt unseren Alltag, aber logischer Weise auch den unserer Angehörigen. Unser chronischer Stoffwechselzustand erfordert nun mal ein Leben lang Aufmerksamkeit und das rund um die Uhr.
Wir alle wissen: Mit Typ-1-Diabetes muss man seinen Blutzuckerspiegel mehrmals täglich überprüfen, Insulin injizieren und den Kohlenhydratgehalt der Mahlzeiten berechnen. Eltern oder Partner nehmen oft an diesen „Alltagsprozeduren“ teil wie die DAWN2-Studie kürzlich zeigte.
- Die DAWN2-Studie ist übrigens die größte globale Studie über die psychosozialen Aspekte von Diabetes – emotionales Wohlbefinden, Familiendynamik und mehr.
Es wurde festgestellt, dass 35% der Familienmitglieder eine “moderate” oder “sehr große” Belastung durch die Betreuung eines Verwandten mit Diabetes aufweisen, wobei viele Familienmitglieder zugaben, nicht zu wissen, wie sie helfen können.
Es ist also wichtig zu überlegen, welche Unterstützung Familienmitglieder benötigen, um Ihre Last angemessen zu managen. Viele machen sich lt. Der DAWN Studie insbesondere Sorgen darüber eines Tages mit einem Notfall konfrontiert zu werden, wie beispielsweise mit einer Bewusstlosigkeit aufgrund Über- oder Unterzucker.
Allerdings gibt es auch positive Auswirkungen des Diabetes auf Angehörige u.z. die bewusste Ernährung und das Wahrnehmen von Vorsorgeuntersuchungen!!!
Mein Typ F -Fazit
Alles Schlechte hat sein Gutes. Uns das Beste am Schlechten ist, dass ich daraus Gutes lernen kann. Aus Schlechtem entwickelt sich also oft Gutes, auch wenn ich es im Augenblick nicht sehe.
Für uns Betroffene wünsche ich mir nur das nötige Bewusstsein und die Empathie, sich regelmäßig in unser Umfeld hineinzudenken, um es entsprechend abzuholen und das Beste draus zu machen!
[1] Continuous Glucose Monitoring, kontinuierliche Blutzuckermessung